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Aus alt mach neu – Über den (Un-)Sinn einer Kaufprämie für Neufahrzeuge

Im Zuge der Corona-Krise wurden in Deutschland im März 2020 etwa 38 Prozent weniger Pkw zugelassen als noch im Vorjahresmonat. Angesichts dieses Absatzrückgangs schlägt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder eine “Innovationsprämie” vor, um den Verkauf von Neufahrzeugen anzukurbeln und die deutsche Autoindustrie zu stärken. Auch der Ministerpräsident von Niedersachsen, Stephan Weil, fordert eine “Abwrackprämie“, um die Automobilindustrie im Strukturwandel zu unterstützen.

Während der Finanzkrise gab es schon einmal eine Abwrackprämie in Deutschland. Damals bezuschusste die Bundesregierung jeden neu verkauften Pkw mit 2.500 Euro und stellte insgesamt fünf Milliarden Euro an Subventionen hierfür bereit. In der Folge stiegen die Verkäufe im Jahr 2009 zumindest zeitweise stark an. Insbesondere Interessenten für Mini-, Klein- und Kompaktwagen ließen sich von der Abwrackprämie zu einem Neuwagenkauf animieren, während die Nutzer von Premiumfahrzeugen sich weitgehend unbeeindruckt zeigten.

Der offizielle Titel der Abwrackprämie aus dem Jahr 2009 lautete “Umweltprämie”. Tatsächlich war die Prämie damals jedoch an keinerlei Umweltkriterien gekoppelt. Und so gingen die durchschnittlichen CO2-Emissionen neuer Pkw im realen Alltagsbetrieb im Jahr 2009 einmalig um lediglich vier Prozent zurück und stagnierten in den Folgejahren. Was Luftschadstoffe wie Stickoxid (NOx) betrifft, so waren die geförderten Neufahrzeuge zwar auf dem Papier sauberer als die älteren Modelle. Tatsächlich aber, so wissen wir heute, lagen die realen Emissionswerte in vielen Fällen weitaus höher als die gesetzlichen Grenzwerte es zuließen.

Wie aber müsste eine Kaufprämie heute aussehen, um tatsächlich als “Öko-Abwrackprämie” (Stephan Weil) durchzugehen, welche den Kauf “klimafreundlicher” Fahrzeuge (Markus Söder) ankurbelt?

Für NOx zeigen aktuelle Ergebnisse, welche auf den Daten für etwa 100.000 Fahrzeuge beruhen, dass sich die Emissionen für Dieselfahrzeuge der Abgasnormen Euro 3 bis Euro 6 unter realen Fahrbedingungen kaum unterscheiden und um ein Vielfaches über den Emissionen von Benzinfahrzeugen liegen. Sofern die Fahrzeuge der neuen Euro 6d-TEMP und Euro 6d Abgasnormen die offiziellen Grenzwerte tatsächlich auch unter realen Bedingungen einhalten, so lägen diese deutlich unter den Emissionen früherer Fahrzeuge. Gegenüber einem zehn Jahre alten Pkw (Neuzulassungsjahr 2010) lägen die NOx-Emissionen etwa 21-33% (Benzin) bzw. 76-83% (Diesel) niedriger. Belastbare Messdaten für tausende von Fahrzeugen gibt es für diese neuen Abgasnormen bislang jedoch nicht. Noch deutlicher wäre die Verbesserung im Falle eines Elektrofahrzeugs, welches zumindest lokal völlig frei von NOx-Emissionen unterwegs ist.

Für die global wirkenden Treibhausgase (THG) ist es wichtig, nicht nur die CO2-Emissionen sondern auch die Emissionen weiterer THG (Methan, Lachgas) zu berücksichtigen, welche lokal während der Nutzung des Fahrzeugs entstehen, sowie zusätzlich die bei der Produktion des Kraftstoffs bzw. Stroms entstehenden THG Emissionen. Schließlich müssen anteilig noch die THG Emissionen der vorgezogenen Produktion des Neufahrzeugs berücksichtigt werden. 

Während die durchschnittlichen CO2-Emissionen neuer Pkw in Deutschland, laut Herstellerangabe, in den letzten Jahren tendenziell sanken, blieben die realen Werte im Straßenbetrieb nahezu konstant. In der Folge emittiert ein durchschnittliches neues Benzin- bzw. Dieselfahrzeug aktuell etwa genauso viel CO2 wie ein Fahrzeug des Jahres 2010. Auch nach der Einführung des neuen WLTP-Messverfahrens bleibt ein merklicher, wenn auch geringerer Unterschied zwischen den CO2-Emissionen im offiziellen Test und im realen Fahrbetrieb, wie ein in Kürze erscheinender ICCT-Bericht zeigt. Berücksichtigt man anteilig die Emissionen der Fahrzeugproduktion, so ist bei einer Förderung aller heutigen Benzin- oder Dieselfahrzeuge daher sogar ein negativer Klimaeffekt zu befürchten.

Eine merkliche Verringerung (ca. -30 Prozent) des CO2-Flottenwertes ließe sich erreichen, falls die Kaufprämie auf Fahrzeuge mit maximalen CO2-Emissionen von 110 g/km im WLTP beschränkt werden würde. Deutlich positiver (ca. -60 Prozent Reduktion) wäre der Effekt, falls lediglich Batteriefahrzeuge gefördert werden würden, selbst wenn diese über ihr gesamtes Fahrzeugleben mit dem (relativ CO2-intensiven) Strommix des Jahres 2019 geladen würden. Bei Plug-in-Hybridfahrzeugen ist eine pauschale Einschätzung nur schwer möglich. Hier hinge der tatsächliche Effekt sehr stark vom Nutzungsprofil des jeweiligen Fahrers ab.

Eine spürbar positive Auswirkung einer Kaufprämie für Neufahrzeuge wäre mit Blick auf THG und NOx Emissionen folglich zu erwarten, falls diese auf Pkw der neuesten Abgasstufe Euro 6d mit maximal 110 g/km an CO2-Emissionen (im WLTP) begrenzt wäre. Allerdings ist die Euro 6d Abgasnorm ab dem 1. Januar 2021 ohnehin verpflichtend für alle Neufahrzeuge, und auch ein CO2-Wert von etwa 110-115 g/km wird ab 2021 im europäischen Durchschnitt von der Autoindustrie erfüllt werden müssen. Effektiver wäre daher eine steuerliche Förderung lediglich für Elektrofahrzeuge, um hier eine vorzeitige Marktdurchdringung anzureizen.

Um den positiven Effekt auf die THG Emissionen der Bestandsflotte zu verstärken, und auch um zu vermeiden, dass Neufahrzeuge als Zweit- oder Drittwagen zu einem Anstieg der Gesamtfahrleistung führen, wäre es zudem sinnvoll, selektiv das „Abwracken” von Fahrzeugen mit einem überdurchschnittlich hohen Kraftstoffverbrauch zu fördern. Ebenso wäre ein erhöhter Zuschuss für die Nachrüstung älterer Fahrzeuge mit moderner Abgasnachbehandlung denkbar.

Für die Neuwagenflotte birgt eine Kaufprämie die Gefahr eines “Wasserbett”-Effekts. So könnte eine verstärkte Förderung von Elektrofahrzeugen den Absatz im Inland ankurbeln und Fahrzeughersteller bei der Einhaltung ihrer europäischen CO2-Zielwerte unterstützen. Im Gegenzug könnten im europäischen Ausland weniger Elektrofahrzeuge und mehr hoch emittierende Fahrzeuge verkauft werden, als dies ansonsten der Fall wäre. Schließlich zählt für die Einhaltung der Zielwerte –und die Vermeidung von Strafzahlungen– lediglich der EU-weite Gesamtabsatz.

Der Nutzen einer Kaufprämie –ob nun als direkte Auszahlung oder indirekt über eine Absenkung der Mehrwertsteuer– bleibt somit zumindest fragwürdig, nicht nur aus Umweltsicht, sondern auch mit Blick auf die sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Schließlich unterstützt mit einer Prämie die Gesamtheit aller Steuerzahler eine relativ kleine und mutmaßlich relativ wohlhabende Bevölkerungsgruppe beim Neuwagenkauf, und dies, um eine Industrie kurzzeitig zu fördern, welche auch schon vor der Corona-Krise mit Überkapazitäten und einem längerfristigen Strukturwandel zu kämpfen hatte.

Nachhaltiger erscheint vor diesem Hintergrund eine umfassende Reform der deutschen Kfz- und Dienstwagenbesteuerung. So könnte ein Malus für Fahrzeuge mit hohen Emissionen dauerhaft einen Bonus für Fahrzeuge mit niedrigen Emissionen gegenfinanzieren, ohne den Staatshaushalt und somit die Steuerzahler zu belasten. Ein solches Bonus-Malus-System, welches beispielsweise bereits in Frankreich oder Schweden existiert, würde komplementär zur europäischen CO2-Regulierung wirken und die Fahrzeughersteller dabei unterstützen, mittel- und längerfristig ihre Zielwerte einzuhalten und den dringend notwendigen industriellen Wandel hin zu emissionsfreier Mobilität zu meistern.

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